Lotterbetrieb
Posted on 4 June 2007 at 10:12 in Alltag

So sieht es seit sicher zwei Monaten vor dem Haus aus. Alle paar Tage buddeln einige Arbeiter mehr oder minder motiviert etwas weiter. Dass sie ab und zu auch was verändern, spüre ich anhand meines fliessenden Wassers. Das war zuerst für 3 Wochen nur kalt, daraufhin kurze Zeit wie gewohnt, dann lief einen Tag lang gar nichts, und jetzt wieder bloss kalt.
Der Ersatzlehrer hinterlässt einen ähnlichen Geschmack wie damals wohl der Ersatzkaffee. Wenn der so eine Arbeitszeiterfassung ausfüllen müsste, wie sie einem in Schweizer Schulhäusern aufgebrummt wird, so könnte man da lesen: Vorbereiten = 0:00 h. 3 Minuten nach Unterrichtsbeginn, wenn ich schon dabei bin, seine Telefonnummer einzutippen, rauscht er mit wehenden Fahnen herein, grabscht auf dem Weg zum Zimmer sein Buch, und hoppla! Los geht’s. Die Prüfungen hat er ziemlich grosszügig korrigiert; ich hab bloss ein einziges Deckblatt angeschaut und schon 4 unentdeckte Fehler gesichtet. Von daher macht es mir nicht allzu viel aus, dass es ihm seit heute leider, ähem, nicht mehr möglich ist, diese Klasse zu unterrichten. Statt seiner stand heute meine Chefin höchstpersönlich vor den SchülerInnen. Könnte nicht behaupten, dass dies eine Verbesserung der Lage darstellt.
Was gibt’s sonst noch so zu meckern? He ja, wenn ich schon dabei bin. Ah, richtig, ein weiteres Kapitel meiner oasis-Leidensgeschichte wurde am Samstag geschrieben. Dass schon wieder der falsche DJ da war (der ist auch so ein „purple rain“-Kandidat), war ja noch zu ertragen. Vor der Garderobenstange stehend, viel Auswahl hatte es nicht mehr, griff ich zielsicher nach der dunkelgrünen Jacke mit rotem Etikett – igitt, was für ein Lötterlistoff ist das denn? Ist nicht meine. Die Besitzerin des besagten Teils muss entweder meine Meinung geteilt oder aber zu viele „White Russians“ gekippt haben, auf jeden Fall ist sie mit meiner Jacke auf und davon. #&!!* Der Türsteher verstand zwar meine schweizerdeutschen Sympathiebekundungen nicht, aber ich nehme mal an, mein Gesicht sprach wie immer Bände. Vielleicht hat der „richtige“ DJ ja auch solche Pechsträhnen gehabt, denn wie wir erfuhren, legt der jetzt in einem anderen Laden auf.
Aaaaaaaaah…!
Posted on 3 June 2007 at 03:48 in Alltag
Heute war ich beim Zahnarzt. Notfallmässig. Zum zweiten Mal splitterte ein Stück desselben Zahnes ab. Das erste Mal in Chile vor mehreren Jahren – da gab es eine provisorische Krone, die eigentlich in der Schweiz hätte ersetzt werden sollen – nun auch noch in der Mongolei. Spätestens jetzt wissen die Leute, für die dieser Blog ursprünglich gedacht war, dass es mir blendend geht: Ich war nämlich noch nie in Chile.
B. lag also mit weichen Knien auf dem Schragen, während meine ehemalige Schülerin mit Spritze und anderen Marterinstrumenten hantierte, um die Überreste der Krone zu entfernen, den Nerv abzutöten und den Kanal dann mit Paste aufzufüllen. Uäääh! Konnte fast nicht hinsehen. Lieber liege ich selbst mit hellgrünem Latz da. Nach 45 Minuten standen wir wieder auf der Strasse, B. erleichtert, aber nicht um viel Geld – die Behandlung hätte 11$ gekostet, dank mir kriegte sie sogar noch einen Freundschaftspreis – sondern weil sie nun sorglos eine zweiwöchige Reise ins mongolische Nichts antreten kann. Sobald sie zurück ist, wird dann eine neue Krone fabriziert. Kostenvoranschlag: 25$. Ich geh da auch noch hin, bevor ich wieder ins teure Schweizerländli komme! Man merke: Einmal mehr profitiere ich von meinen SchülerInnen.
Wenn wir schon beim Thema sind, und da ja eben gaaanz viele Fremde meine schriftstellerischen Ergüsse auch lesen, muss ich doch die Gelegenheit nutzen, um den Herren und Damen Zahnärzten zwei Tipps zu geben. Offensichtlich haben die selber noch nie in unserer Lage gesteckt, sonst würden sie einen nicht über Freud und Leid unseres Berufes ausfragen, während wir brav den Mund aufsperren, damit nebst zwei fremden Fingern auch noch Spucksaugschlauch und Zahnsteinharke da reinpassen. Sie hätten auch längst begriffen, dass Bilder an der Wand nichts taugen. An der Decke müssten sie hängen, so bräuchte unsereiner nicht als Zeitvertreib und zur Ablenkung vom unablässig steigenden Speichelsee im Rachen die perforierten Löcher zählen, die da meistens zu sehen sind. So. Jetzt bitte umsetzen. Kostet ja nichts, und die Kunden werden’s euch danken.
Dass euch das noch nie einer gesagt hat, liegt übrigens daran, dass man vor der Behandlung in die Schweizer Illustrierte vertieft oder nervös ist, daraufhin mundtot gemacht wird, und kaum vom Stuhl runter sich darüber freut, dass man für ein Jahr aus dem Schneider ist, und so möglichst tifig der Praxis entflieht.
Hindernisse
Posted on 30 May 2007 at 10:17 in Alltag
Zum zweiten Mal seit letztem August haben sich die Strassen UBs in einen Hindernisparcours verwandelt. Auf den holperig geteerten Strassen reiht sich Pfütze an Pfütze – es regnet. Hier gehört ein Regenschirm nicht zur Grundausstattung. Ich geniesse das „schlechte“ Wetter fast, denn ein wenig Nass bedeutet klare Luft und weniger Staub. Allerdings hab ich letztes Mal einen Schuh voll rausgezogen (bis zum Knöchel war ich drin – schliesst selbst auf die Tümpeltiefe…), und das Risiko, dass einen das Schicksal der Carry Bradshaw ereilt, ist schon fast eine Garantie.
Mit Pfingsten war ja wieder mal Essig in diesem Land voller Heiden! Buddha hatte wohl keinen Sinn für Ruhetage. Seufz. Dafür fällt der „Kindertag“ auf diesen Freitag – hätte ich das früher realisiert, wäre wieder mal ein Trip angesagt gewesen. Bin nun einfach zu faul, um noch was auf die Beine zu stellen. Hab heute schon genug organisiert – Hotel in St. Petersburg ist gebucht, jetzt fehlt noch Irkutsk, und dann kommen die verschiedenen Zugreservationen in Etappen. Im „International Railway Ticketing Center“ war wieder mal nur das Schild international; dementsprechend detailreich also die Auskünfte, die ich bekam. Pfeifendeckel, sagte ich mir, jetzt rechne ich einfach damit, dass dann schon alles irgendwie klappt, und buche frech die Hotels. Mal sehen, wen ich anstellen kann, um mir den Zugplatz in UB freizuhalten, da ich erst in Irkutsk einsteige. Reservieren kann man nämlich nur von UB aus. Reservation garantiert aber nichts, da ein Zug normalerweise einfach aufgefüllt wird. Wer nicht kommt zur rechten Zeit… Vor Jahren sei das in Europa auch nicht anders gewesen, hab ich mir sagen lassen, von einem gebrannten Paar, das seine romantische Reise nach Italien auf Koffern vor dem WC sitzend verbrachte, statt im 1.Klasse-Couchette in horizontaler Lage. Ausser dass man in einer Nacht in Italien ist. Von Irkutsk nach Moskau geht’s ETWAS länger. Hach, welch Abenteuer! Da schwingt doch noch eine Prise Columbus’sches Risiko mit. Meuterei in Transmongolischer Eisenbahn! Landung in Indien nach monatelanger Irrfahrt! Ich seh die Schlagzeilen schon vor mir.
9. Monat
- Ein Fuss ist schon in den Startpflöcken. Dem Alltag, wie ich ihn hier erlebe, wird langsam aber sicher der Rücken zugewandt, wenigstens gedanklich. Er langweilt mich. Kann es kaum erwarten. Beruflich gibt es, von den nervlichen Herausforderungen mal abgesehen, keine Hürden mehr zu nehmen. Sayamaa ist drei Wochen weg, und prompt kommt die Chefin daher und schmeisst alle Pläne über den Haufen – dabei kennt sie sich mit der Abteilung gar nicht aus. Ich soll nun alle Broschüren, die ich anfangs Schuljahr entworfen habe, auf den neusten Stand bringen. Gute Idee, bloss stimmen die Infos wahrscheinlich schon Ende September nicht mehr, weil nichts durchdacht war und alles wieder angepasst werden muss. Sehr sinnvoll.
- Morgen muss ich beim Railway Ticketing Service mal persönlich auf den Busch klopfen. Hab’s meiner Reisekumpanin versprochen. Die wird immer nervöser zu Hause, weil noch alles, was sich zwischen Peking und Moskau abspielt, in der Schwebe hängt. Das Reisebüro möchte wohl noch ein wenig mehr Geld an ihr verdienen, denn es sät fleissig Zweifel über eigenständiges Buchen der Transmongolischen: Zuerst kommen die Ausländer dran, und was übrig bleibt, kriegt man noch vor Ort (sprich ich), und da muss man sich dann mit 6 anderen, stinkenden, schnarchenden und klauenden Reisegenossen in ein Abteil pferchen… Das Wunder der Mongolei besteht darin, dass bis zum Schluss nichts sicher ist, aber irgendwie klappt es dann doch noch.
- Die Abschiedsfeiern häufen sich. Die meisten Schulen schliessen diese Woche definitiv ihre Tore bis zum 1. September, und so gehen alle LehrerInnen entweder auf Reisen oder aber direkt nach Hause, je nachdem wie sehr ihnen die Mongolei zusagt. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt für Touren, denn noch ist der Hauptstrom der Touristen nicht eingetroffen. Wenn ich mich im Juli dann endlich auf die Socken machen kann, dürfte dies anders sein. Das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln stelle ich mir bei 35° auch nicht gerade lustig vor. Gerade vorgestern stand ich wieder mal von allen Seiten eingequetscht im Bus. Da waren bestimmt 40-50 Menschen drin, in einem Gefährt von höchstens einem Drittel der Grösse eines Reisebusses. Abgewiesen wird niemand, einfach noch ein bisschen mehr schubsen, Türe schwungvoll zuknallen et voilà! Geht doch. Ein alter Päppel hat mir seinen Schoss angeboten, aber so wild auf Körperkontakt bin ich nun doch nicht.
- Der erfolgreiche Schulabschluss wird hier übrigens vor den Prüfungen gefeiert. Die Parade hättet ihr sehen sollen. In Bussen werden die herausgeputzten StudentInnen zu den strategisch wichtigen Plätzen hingekarrt, wo dann bis zum Abwinken geblitzt wird. Ballone und Schnittblumen überall, Halbstarke mit gigantischen Sonnenbrillen und junge Mädels, die sich noch auf ihre hohen Absätze konzentrieren müssen. Die Schneider hatten bestimmt alle Hände voll zu tun, und die Familien ernähren sich wahrscheinlich für den Rest des Monats von Reis und Suutetsä, da das Budget von Frisör&Co. arg strapaziert wurde. Gratuliere!
Anfänger, Debussy und Fleischschau
Posted on 21 May 2007 at 02:09 in Kultur
Die Stationen dieses Wochenendes lassen sich am besten in Bildern wiedergeben.
Die Arbeit mit Erwachsenen bringt es mit sich, dass man Einblicke in deren Leben bekommt. Die haben alle schon einen Beruf und Lebenserfahrung, welche in den Unterricht einfliesst und ihn manchmal auch auf die Freizeit ausweitet. Hier besuchte ich einen Schüler aus meiner Anfängerklasse bei seiner Arbeit als traditioneller Tänzer. Eine sehr vielseitige Show mit typisch mongolischen Instrumenten, Gesang, Tanz, buddhistischen Fabelfiguren (Götter) und sich in alle möglichen Richtungen verrenkenden Mädchen. Anschliessend gemütliche Runde im Irish Pub. Ich staune immer wieder, wie ich mit meinen Anfängern nach vier Monaten Unterricht über alles möglich reden kann, trotz beschränktem Wortschatz und viel Interpretations-Bedarf. Beispiel gefällig? Zwar nicht aus meiner Erfahrung, aber es demonstriert die Sache gut. Was heisst „big friend“ respektive „little friend“? Ganz einfach, das eine ist ein enger Freund und das andere eine lose Bekanntschaft.


Am Samstag dann auf ins Japanische Ballett, wo Teile von „Schwanensee“, Debussy und irgendein Russe gezeigt wurden. Das Programmheft war in Mongolisch… War toll, Kostüme und Tanz sehr schön. Dass die Musik aus der Konserve kam, hat mich nicht weiter gestört – lieber das als Ablenkung durch Misstöne. In der Mongolei ist die Konkurrenz in der Kunstbranche nicht besonders gross, bei 2.6 Millionen Einwohnern. Dementsprechend ist das Niveau, verglichen mit anderen Ländern, etwas nach unten verschoben.

Sonntagnachmittag: Fleischschau im Wrestling Palace. Die Sonntagszeitung schrieb über den Aufschwung des Schweizer Schwingsports, während ich mongolische Knackärsche und Fettbäuche genaustens inspizierte. Erstaunlich, wie wenig Frauen unter den Zuschauern waren :-) In einer Arena kämpfen 8 Paare zeitgleich um den Sieg. Zuerst Hut abgeben beim Schiri, dann irgendwie den Gegner mit Knie, Ellbogen oder Rücken auf den Boden zwingen, der Verlierer löst die Schnur seines Boleros und muss unter dem Arm des Gewinners durch, man klatscht sich gegenseitig auf den Hintern, holt den Hut ab, und die nächsten zwei treten an. Eine Gewichtsklasse gibt es nicht, so dass anfangs kuriose Päärchen zu sehen waren. Fettwanst gegen Büebel. Ein Leichtgewicht entfloh seinem stiernackigen Gegner schrittweise quer durch die ganze Halle, bevor dieser der ungleichen Partie endlich ein Ende machte.

Ach ja, und übrigens hat sich ein Lehrer gefunden, so dass ich nun doch wieder Zeit für anderes habe. Bis es so weit war, hab ich nochmals Einblick in die hier typische Unterrichtsweise bekommen – I wasn’t amused.
Wettrüsten
Posted on 15 May 2007 at 09:15 in Alltag
Nein, die Mongolei wird niemandem den Krieg erklären. Deren Armee hätte mit maximal einer knappen Million Krieger zahlenmässig gegen die Russen und Chinesen nicht viel zu melden (wie bloss hat das der Dschingis geschafft??). Trotzdem handelt es sich hier um eine Kriegserklärung, eine persönliche: Ich werde mich wehren! Jawohl. Wer mich abzocken will, soll was erleben. Ich sehe nicht einfach zu, wie die mich ausnehmen wollen. Habe meinen Wortschatz aufgestockt („Ich bin kein dummer Tourist“) und bin nun bereit, mich mit geldgierigen Mongolen anzulegen. Hu! Ha! Einmal mehr.
Es ist nun mal so: Kaum lugten die ersten paar grünen Blättchen aus den dürren Föhren, tanzten sie an, die Touristen. Zeitgleich begann der Zirkus um sie. Die Strassencafés werden so gut es geht aufgemöbelt, die traditionellen Tanzshows finden wieder allabendlich statt (ich kann gratis gehen – einer meiner Schüler tanzt mit :-), alle möglichen und unmöglichen Souvenirs kosten vermutlich jetzt dreimal so viel wie im Winter, und die Taxifahrer überbieten sich gegenseitig im lächerlich hohe Preise fordern, ohne mit der Wimper zu zucken. Auch die Taschendiebe schwärmen deutlich aktiver um jede „Hochnase“ herum. Aber nicht mit mir!
Natürlich ist der Tourismus eine formidable Einnahmequelle; nicht bloss für die Städter, sondern auch für manchen Hirten, der sein Ger als Übernachtungsmöglichkeit anbietet und dafür mit Kind und Kegel bei den Nachbarn unterschlüpft. Hätte ich Schweizer Franken im Sack, würde mir das auch nichts ausmachen, 30 Rappen mehr zu bezahlen, oder auch 3 Franken. Hab ich aber nicht. Im Winter war es ganz klar, dass ich kein Tourist war – jetzt muss ich dies jedes Mal durch Demonstration von Mongolischkenntnissen unter Beweis stellen, die sich halt immer noch auf überlebensnotwendigem Niveau befinden. Da gäbe es vielleicht noch eine Alternative. Ich könnte mich so richtig aufbretzeln und mich damit optisch vom Gros der Reisenden abheben. Ein Schüler hat gemeint, in die Mongolei kämen keine reichen Touristen, denn die sähen immer so abgebrannt aus. Schmuddelklamotten, staubiges Wuschelhaar und so. Ich hab ihm dann erklärt, dass man in finanziell gut gestellten Ländern nicht unbedingt so viel Wert auf das Aussehen legt wie hier. He ja, welche Schüler trugen in meiner Schweizer Klasse die schicksten Kleider und achteten auf eine gepflegte Frisur? Bestimmt nicht die Müllers und Meiers. Verrückt. Wer bedürftig ist (auf welche Art auch immer), gibt sein letztes Geld für die richtige Aufmachung aus, während die reichen Bubis absichtlich fettige Strähnen ins Gesicht züchten und die Unterhose spazieren führen.
Dass meine Haltung Touristen gegenüber etwas extrem ist, bin ich mir durchaus bewusst. Trotzdem wäre mir UB lieber ohne sie, jetzt wo die Stadt endlich ihre Sommerkleider aus dem Versteck holt und einen gewissen Charme ausstrahlt. Wobei sie diesen vielleicht nur jenen entgegenbringt, die ihre kratzbürstige Seite auch erduldet haben.
(Ent-)Warnung
Posted on 12 May 2007 at 11:32 in Alltag
Hab gerade eine Premiere hinter mir: arbeiten am Wochenende. Seit letzter Woche bereite ich für zwei Klassen vor, da Jim weg ist und bis anhin kein Ersatz für ihn gefunden wurde. Sprich, ich kaue Sayamaa alles vor, damit sie dann unterrichten kann, erstelle alleine Arbeitsblätter und korrigiere zwei Klassensätze Prüfungen. Drei Stunden sass ich gerade am Pult und hab jetzt Eiszapfen als Finger – für die gibt’s dummerweise keine Thermowäsche – dabei bin ich noch nicht mal fertig! Als Pausenbrot gibt’s nun Wohnung putzen: Teppich wieder mal schamponieren (Staubsauger hab ich keinen), Wollmäuse aus den Ecken jagen… Wenigstens wird mir dabei warm! Die zurückgekehrten kühlen Temperaturen haben ein Gutes: Das Fondue von heute Abend schmeckt bestimmt doppelt so gut. Ich hab mir überlegt, ob ich die importierte Kostbarkeit mit MongolInnen teilen soll, mich dann aber dagegen entschieden, da meine Schweizer Freundinnen ein FIGUGEGL bestimmt viel mehr zu schätzen wissen. Fehlt nur noch ein Heimatfilm zur Vervollkommnung des Schweizer Abends, aber den „Eugen“ anzufordern hab ich verpasst.
Warnung: In nächster Zeit kann ich nicht für regelmässige Blogs garantieren, denn sie wird doch noch zur Tatsache, die 36-Lektionen-Woche. Deshalb schieb ich auch Überstunden, denn wenn ich abends um 8:30 endlich auf die andere Seite des Flurs zurückkehre, hab ich wahrscheinlich gerade noch die Energie, ein wenig zu zappen.
Entwarnung: Meine Herren im Anzug haben sich am Freitag ganz anständig verhalten. „Kaffeepause“ kann zwar immer noch nicht seinen Mund halten und hat dauernd irgendwelche Privatansprüche, aber wenigstens hat er diesmal nicht seinen Anstand zu Hause gelassen.
Auf geht’s. Bügeleisen her.
Klamotten und Kaffeepause
Posted on 8 May 2007 at 10:46 in Alltag
Chrom. Schwarzer Lack und Lederpolster. Mittendrin ich in Nadelstreifenhose und weissem Leinenjackett, umgeben von Männern im Anzug. Ich hab ihre volle Aufmerksamkeit, denn ich verrate ihnen gerade… wie man auf Englisch buchstabiert!
War ich froh, dass ich per Zufall mal nicht gerade Jeans und Shirt anhatte, oder noch übler, meine pinkfarbene Hose! Die ist zwar nach 100+ Waschgängen nicht mehr ganz so grell, aber meine Professionalität hätte sie in diesem schicken Umfeld dennoch nicht gerade unterstrichen. Obwohl sich wieder mal bewies, dass die Verpackung nicht lange über den Inhalt hinweg täuschen kann. Dieser Mann muss beruflich top sein, denn sonst würden ihn seine Mitarbeiterinnen bestimmt nicht lange aushalten. Das, oder dann ist „sexual harassment“ hier noch überhaupt kein Thema. Das Wort bringe ich ihnen in der nächsten Lektion bei!
Meine weitherzigen Krankenschwestern habe ich per heute eingetauscht mit den MitarbeiterInnen von „Naran Motors“. Nebst BMWs verkaufen die auch noch andere hübsche Sächelchen von Yves Rocher, Esprit und Victorinox. Vielleicht nichts Spezielles in der Schweiz, hier jedoch von A-Z Edelmarken, von denen der Durchschnitt allerhöchstens zu träumen wagt. Prompt weht hier ein ganz anderer Wind! Angefangen hat die Geschichte zwar wie immer – mit Improvisation. Das eigentliche Unterrichtszimmer war belegt, und so quetschte ich mich mit 8 Männern und zwei Frauen in ein Sitzungszimmer, das für sechs gedacht war. CD-Spieler hatten sie auch keinen zu offerieren, dafür durfte ich die DVD-Anlage zum Hörverständnis einsetzen, die sonst zeigt, wie Nobelkarossen durch Wüste, Wälder und Wiesen flitzen und am Schluss immer noch blitzen. So oder ähnlich.
Wenn ich es mir recht überlege, war eigentlich nur einer ein Kotzbrocken, aber, und das Phänomen kennen alle PädagogInnen, das reicht vollkommen, um einem die ganze Truppe gallig zu machen. Der fragte als erstes nach meinem Namen, als zweites nach einer Kaffeepause und dann nach meiner Kleidergrösse. Auch sonst hatte er noch so einige Sprüche auf Lager, die er natürlich nicht für sich behalten konnte, da wir alle ja so sehnsüchtig darauf warteten, dass jemand unseren Tag mit zweideutigem Stuss bereichern würde. So respektlos, unter dem Deckmantel des Witzboldes, ist mir noch nie jemand gekommen. Und das vor seinem Chef, der seinerseits echte Grösse bewies, indem er einfach Schüler war und Demonstrationen seines Status nicht nötig hatte. Das schlimmste daran ist, dass „Kaffeepause“ ernsthaft das Gefühl hat, er sei der Obermacker. Nach zwei Lektionen Zurückhaltung meinerseits hat er dann vielleicht doch gemerkt, dass seine Masche nicht zieht (normalerweise muss man bei mir nicht überaus sensibel sein, um das zu spüren), als ich ihm nämlich sagte, er solle sich doch nochmals überlegen, ob er in dieser Klasse am richtigen Ort sei, wenn er keine Hausaufgaben machen wolle. Da war er zum ersten Mal ganz still. Ha! Mal sehen, wie lange der mir noch das Klima verpestet. Vielleicht sollte ich ihm vorschlagen, einen Blog zu eröffnen, um seine geistreichen Ergüsse dort loszuwerden, wo man weiterklicken kann.
P.S. Ich geb mir echt Mühe, Anglizismen zu umschiffen. Deutsch ist ne schöne Sprache, und die meisten Schweizer haben eh immer noch keine Ahnung, was die „kühl“ klingenden Worte eigentlich bedeuten. Einen Monstervorteil hat Englisch allerdings: Man muss nicht so wahnsinnig Rücksicht auf in ihrem Wert verunsicherte Frauen nehmen. Oder habt ihr schon mal von „teacherEss“ oder „staffIce“ gehört? Ich nicht! Jetzt krieg ich dann wahrscheinlich ein zwei wutschäumende Kommentare – aber zu guter Letzt entscheidest du ganz alleine, was du wert bist. Basta.
Potenzielle Nachtrauerfaktoren
Posted on 5 May 2007 at 12:49 in Alltag
Ihr merkt’s, fast in jedem Beitrag drückt die näher rückende Heimreise in irgendeiner Weise durch. Der 16. August ist nun weder Damoklesschwert noch Jubeltag, aber ich würde auch nicht sagen, dass ich mit einem weinenden und einem lachenden Auge nach Hause komme. Gefällt mir gar nicht, diese Redewendung, weil viel zu abgewetzt – abgesehen davon, will mal die Person sehen, die das schafft! Also meine Hirnhälften sind ordentlich verkabelt, da gibt’s solche Halbbatzigkeiten nicht ;-) Ich stell mir das etwa so vor: Solange UB aus dem Zugfenster noch erkennbar ist, wird synchron geweint, danach ziemlich zügig der Vorfreude auf Moskau, Sankt Petersburg und „Schefzaar“ (Schweiz auf Mongolisch) Platz gemacht!
Ich hab hier keine Minute mit Heimweh verbracht. Trotzdem reicht ein Jahr nicht aus, um 27 Jahre Wurzeln bilden im Thurgau vergessen zu machen. Von all den netten Bekanntschaften, die ich hier geschlossen habe, bleiben nur die wenigsten hier, und noch weniger Beziehungen gehen über oberflächliche Ausgeh-Freundschaften hinaus. Dies ist der Hauptgrund, weshalb ich mich auf die Rückkehr freue. Ich bin immer noch fremd hier, obwohl ich mittlerweile auch auf die „gadaad chun“ zeige im Restaurant (die Zeit ist angebrochen, wo sich die Touristen wieder in dieses Land wagen), als ob ich nicht zur selben Sorte gehören würde – zu den Ausländern nämlich.
An zweiter Stelle steht… was denkt ihr? Wer meine Einträge einigermassen regelmässig verfolgt hat, kann das bestimmt erraten. Sie haben gewonnen, wenn Sie per Kommentar den richtigen Tipp abgeben. Was den Preis angeht – der bleibt geheim, sonst wäre die Antwort zu offensichtlich. Jetzt bin ich aber mitten in einer Liste angelangt, die eigentlich gar nicht Thema dieses Eintrags sein sollte. Ich wollte ja über mongolische Dinge schreiben, die ich in der Schweiz wahrscheinlich vermissen werde.
- Die Sonne. Die scheint fast pausenlos. So lässt sich auch ein langer Winter leichter ertragen. Wenn ich da an die spinnweben-grauen Tage der Schweiz denke…
- Die Schüler. Die sind so was von angenehm. Sagen sogar danke am Ende der Lektion!
- Englisch-Doppellektionen halten zu können - in 45 Minuten kommt man ja nirgends hin!
- Die Schönheits-Salons. Für 7 Dollar kriegt man hier Gesichtsmassage plus Reinigung samt Maske – in der Schweiz blättert man locker 100 Franken dafür hin. Klar, von Wellness ist hier nix zu spüren. Im Hintergrund läuft keine stimulierende Säuselmusik, und der Raum hat kein ausgeklügeltes Farbkonzept. Fön, Mobiltelefone, Geschwätz, Geläuf, rauschendes Wasser bilden die Geräuschkulisse; meine Liege eine von sechs auf engstem Raum. Ich fühle mich zwar etwas weniger privilegiert, aber meine Haut fühlt sich nachher genau gleich wie ein Kinderpopo an.
- Super Kontik. Die besten Schokoladenkekse der Welt.
- Ein Arbeitsweg von 5 Schritten und zwei Türen.
- 10 Minuten Fussmarsch bis zum Lieblings-Tanzlokal.
- Die Strasse nach Lust und Laune bei Rot oder Grün überqueren zu können.
- Die neusten DVD's für weniger als einen Kinoeintritt kaufen.
- die Unverplantheit und Spontanität dieses Landes - kein Problem, erst am Samstagmittag den Abend zu planen
- sich vom Taxi rumkutschieren zu lassen
- erschwingliche Kleider nach Mass
- die Seidenstoffe auf dem Markt
Die Liste wird laufend ergänzt.
8. Monat
- Ich unterrichte gerade mal noch 10 Wochen. Dann folgt der Nationalfeiertag, Naadam, wo den drei Nationalsportarten während dreier Tage gefrönt wird – Ringen, Bogenschiessen und Pferderennen – und dann geht’s auch schon auf die letzte Reise.
- Bei deren Vorbereitung gilt es immer neue Hürden zu umschiffen. Wer den Preis zahlen möchte, kann sich die Mühe sparen, denn dann kümmert sich das Reisebüro um alle Visa- und Reservationsschikanen. Ich denke, wenn dann alles geschafft ist, werde ich zu dieser Reise einen ganz besonderen Bezug haben, weil ich von A bis Z alles selbst geplant habe.
- Die Stadt hat die Heizung per 1. Mai abgestellt. Ich hab mich schon darauf eingestellt, wieder mit Thermowäsche zur Arbeit zu kommen wie im Herbst, doch dem ist nicht so. Das Quecksilber sinkt zwar nachts noch unter den Gefrierpunkt, doch tagsüber kann es schon ganz warm sein. Vereinzelt gucken grüne Gräser aus dem Staub raus, aber der Grundton ist immer noch ewiges Braun. Ich hab’s langsam gesehen.
Sonnenbrand und Tauchbad
Posted on 30 April 2007 at 12:48 in Ausflüge
Die echt mongolischen Erlebnisse sind oft jene, die man nicht unbedingt wiederholen möchte, die aber gute Geschichten hergeben, wenn man wieder sauber und sicher mit seinen Freunden am Stammtisch sitzt.
Am Freitagabend ging es los nach Darchan, der zweitgrössten und nächstgelegenen Stadt. Nach drei Stunden Fahrt und x waghalsigen Überholmanövern bezogen wir unser Dreierzimmer. Das Bett wäre für einen Fakir bestimmt bequem gewesen… Für 4$ pro Nacht nimmt man das in Kauf. Ich hab da so meine Theorie: Bei richtiger (gelassener :-) innerer Einstellung werden die Warnmeldungen von Gehör (einmal mit der kleinen Zehe wackeln – Knarr!) und Körperteilen (Ächz! Fuss eingeschlafen, bitte drehen – KNARRRR!) ab zweiter Nacht ignoriert, so dass man unbehelligt seine Mütze Schlaf kriegt und nicht mal verspannt erwacht.
Samstagmorgen, 10 Uhr. Nach einem Bierglas voller Schwarztee (Pinkelpause am sichtschutzfreien Strassenrand vorprogrammiert!) setzen wir uns gemeinsam mit der momentan einzigen Schweizer Lehrerin in Darchan ins Taxi. Ab geht’s zum Kloster, dessen Name ich trotz mehrmaligem Runterbeten schon wieder vergessen habe. Zwei Stunden Fahrt auf guter Strasse gehen ereignislos vorbei, ausser dass die Angewohnheit des Fahrers, bei jedem Minihügelchen den Leergang einzulegen und den Wagen runter rollen zu lassen, etwas befremdend ist. Spart das wirklich Benzin? Zeit auf jeden Fall nicht. Experten bitte unter Kommentar melden. Dann folgt eine Stunde Piste. Plötzlich versperrt ein Tümpel den Weg. Kein Problem, kann man umfahren. Der Fahrer bremst, überlegt, und…

… ich lache und lache. Bestimmt nicht sehr höflich, aber ich kann mich nicht erholen. Wie kommt man bloss auf die Idee, da rein zu fahren? Nach einer halben Stunde Warterei beschliessen wir, uns zu Fuss auf den Weg zu machen. Es sollen noch etwa 8 Kilometer sein bis zum Kloster, meint der Fahrer. Er würde unterdessen auf ein Auto warten, das ihn raus ziehe.
Es ist heiss. Ich schwitze! Eine Sensation. Nach geraumer Weile treffen wir auf ein Schild, einsam und alleine in der Steppe. Noch 8km bis zum Kloster. Super. Die Mongolen haben einfach keine Ahnung von Distanz. Es gibt halt keinen Kilometerzähler am Pferd… Tja, für uns gibt’s auch kein Zurück, also weiter.
Endlich angekommen (es waren 15km), stürmen wir die Tante-Emma-Läden für Trinkbares und Energienachschub. Das Kloster ist wirklich schön, total abgelegen und zu dieser Zeit frei von Touristen. Wir kriegen sogar ne Gratisführung. All dies wird jedoch ein wenig getrübt durch die nagende Frage, wie wir wohl wieder nach Darchan zurückkommen. Nach eingehender Lagebesprechung in Deutsch und gebrochenem Mongolisch bringt uns ein freundlicher Hirte zum Tümpel zurück. Die Situation dort hat sich minim geändert. Zum Glück sind wir zu Fuss los!

Ich kann fast nicht zusehen, wie der Fahrer vollgas Dreck um seine Ohren schleudert. Wie wär’s, wenn mal zwei in den Tümpel ständen und ein wenig nachhälfen? Wäre das nicht meine einzige Hose, und könnte ich dem Fahrer begreiflich machen, dass Vollgas die falsche Devise ist, und würde ich damit nicht den ausgeprägten männlichen Stolz verletzen, ich hätte die Ärmel hochgekrempelt und selbst angepackt. So warte ich halt auf den Traktor.
Auf dem Rückweg werden wir von der Polizei angehalten. Warum denn das Auto so schmutzig sei? Die Stossstange ragt aus dem Kofferraum. Wir sind glücklich, nicht im Kloster übernachten zu müssen, und freuen uns auf eine Dusche. Dummerweise gibt’s gerade heute Abend kein Wasser. So wischen wir uns mit Feuchttüchern einigermassen staubfrei (bis übers Knie sind meine Beine mit Staub überzogen, trotz langer Hose) und begiessen das Erlebnis, bevor wir sonnenverbrannte Schultern fotografieren und die müden Beine endgültig hoch lagern.
Ich bin gaaaaanz ruhig…
Posted on 26 April 2007 at 11:01 in Alltag
Ha, von wegen Gelassenheit! Hab mich heute postwendend ziemlich aufgeregt. Zuerst las ich einen Blogeintrag, der mich dazu veranlasste, gleich zwei Kommentare innerhalb von drei Stunden zu deponieren, um mir Luft zu verschaffen. Dann kam jedoch das Beste: Meine Chefin präsentierte beim Mittagessen stolz die Pläne der neuen Räumlichkeiten.
Kurzer historischer Rückblick: Das Hauptbüro besteht schon seit über 10 Jahren, während das Kurszentrum, wo ich angestellt bin, erst letztes Jahr dazugekauft wurde. Anfangs Jahr wurde deutlich, dass das Hauptbüro jene Räume nicht mehr im selben Umfang würde mieten können. In einem Kraftakt wurde also die Bibliothek in unsere Klassenzimmer verlegt. Dass die Öffnungszeiten durch den stattfindenden Unterricht stark beeinträchtigt würden, hatte sich niemand vor der Schlepperei überlegt. Keine vier Wochen später wurde deshalb der ganze Krempel wieder zurück gefugt. Ich weiss nicht, wie viele Studenten zur falschen Zeit am falschen Ort in die Bibliothek wollten – oft wusste ich nicht mal, wie der aktuelle Stand der Dinge gerade war. Dann hiess es plötzlich, man müsse jetzt ganz ausziehen und verlege den Standort zu uns. Bitte wie? Und wo genau sollten die 4 Arbeitsplätze samt Krempel Platz haben? Auf dem Klo vielleicht? Dieses Argument leuchtete ein, und so machte man sich auf die Suche nach einem neuen Standort, wo alles unter einem Dach untergebracht werden sollte. Unser Büro samt zwei Klassenzimmern wird dafür verkauft. Übrigens zu dem stattlichen Preis von 700$ pro Quadratmeter.
Ich nuckle also gerade an meinem Trinkhalm und freue mich, dass ein passendes Gebäude gefunden wurde. Der Plan sieht gut aus. Ziemlich viel offener Raum, ein Klo, zwei abgetrennte Räume; aha, für den Unterricht. Da höre ich es. EIN Klassenzimmer. Das zweite Zimmer wird als Büroraum benötigt. Doch, sehr weitsichtig, muss ich sagen. Ich bin nicht gerade die planungsfreudigste Person, aber wenn mir innerhalb von 2einhalb Sekunden schon allerhand Probleme in den Sinn kommen, dann ist echt Essig. Mit den Einwänden konfrontiert, bringt meine Chefin dann immer so tolle Lösungen. Genau wie der Spengler. Ein Schnellschuss, ein absoluter Pfusch, alles andere als dauerhaft gelöst, kurz unprofessionell. Wäh! Einziger Trost: Ich muss das nicht mehr mitmachen. Ich werde keine Kunden vertrösten müssen, weil der nächste Kurs erst in vier Monaten stattfindet, da das Schulzimmer dauernd belegt ist. Ich werde auch nicht in der Bibliothek bei lausiger Akustik und nach Lust und Laune reinspazierenden Leuten unterrichten müssen. Uf u dervo. Die nächste Lehrerin darf gerne daran ihre Gelassenheit trainieren.
Entwarnung
Für all jene, die bereits Mitleid mit mir hatten - die ganze Aufregung war umsonst. Heute ist Montag. Heute beginnen die neuen Kurse. Heute Morgen hab ich erfahren, dass doch nur 3 und nicht wie geplant 4 Kurse starten. Das Gros der Mongolen kann sich nie früher entscheiden als in der letzten Sekunde. Angemeldet waren eigentlich je 11 Leute (bei 10 ist ein Kurs ausgebucht), davon haben sich aber trotz e-mail und mehrmaligen Anrufen nur 3 und 5 gemeldet. Reicht also gerade knapp für einen. Damit ist mein Stundenplan auf 28 Lektionen pro Woche gesunken. Soll mir recht sein. Obwohl ich jetzt bereits zum dritten Mal intermediate unterrichte - hätte lieber noch das pre-intermediate Buch getestet.
Last Minute auch in der Kirche. Am Mittwochabend hatte jemand die glorreiche Idee, dass ich am Sonntag ein Solo singen könnte. Ein steiler Karriereschritt, von der Background-Sängerin zur Solistin... Hab zwar einige Erfahrung, aber zu Hause übt man vor einem solchen Auftritt! Hier heisst üben dreimal kurz durchspielen, fertig. Instant-Futter. Schmeckt mir nicht wirklich. Unterdessen, nach 8 Monaten Anpassungszeit, macht mir das zwar weniger Mühe. Ich gebe auch unter diesen Umständen mein Bestes, und der Rest ist nicht unter meiner Kontrolle. Hoffentlich kann ich mir diese Gelassenheit bis in die Schweiz bewahren.
Zu diesem Thema ist mir ein Gedicht ins Auge gesprungen. Passt.
Life's Tragedy by Paul Laurence Dunbar
It may be misery not to sing at all,
And to go silent through the brimming day;
It may be misery never to be loved,
But deeper griefs than these beset the way.
To sing the perfect song,
And by a half-tone lost the key,
There the potent sorrow, there the grief,
The pale, sad staring of Life's Tragedy.
To have come near to the perfect love,
Not the hot passion of untempered youth,
But that which lies aside its vanity,
And gives, for thy trusting worship, truth.
This, this indeed is to be accursed,
For if we mortals love, or if we sing,
We count our joys not by what we have,
But by what kept us from that perfect thing.
I wett it hätt...
Posted on 20 April 2007 at 09:59 in Alltag
… es Schwizer Sackmesser. Noch besser einen ganzen Werkzeugkoffer, denn dass ich jetzt, wo mein Bad nach drei Wochen Schattendasein wieder belichtet ist und nicht mehr stündlich unter Wasser steht, bis im August Ruhe habe, wage ich kaum laut zu sagen. Normalerweise überlasse ich solche Probleme gerne kundigen Männerhänden, doch hier sind mir die Handwerkerzünfte höchstens im Material überlegen.
Als vor etwa einem Monat mein Abwaschwasser regelmässig unter der Küchenkombination hervor floss, statt den üblichen Weg durch die Röhre zu nehmen, kroch ich mal unter die Spüle, um der Sache auf den Grund zu gehen. Diagnose: verstopfter Ablauf, diesmal der grosse, wo Abwasser von Bad und Küche einmünden – sinnigerweise einfach in zwei grosse Löcher in der Röhre. Wann immer also die Wassermenge den verstopften Abfluss überforderte, gab es einen Rückstau. Wasser nimmt bekanntlich den Weg des geringsten Widerstandes, und der führte durch das Loch ziemlich direkt auf den Fussboden.
Abends war das Problem laut Handwerker behoben. Aus Erfahrung schaute ich selbst nach – und fand meine Befürchtungen bestätigt. Der schlaue Fuchs hatte doch einfach die Öffnung in der Röhre mit Gips zugepappt. Super. Dass das Abwasser nun statt der Küche mein Bad via zweites Loch überfluten würde, so weit reichte sein Vorstellungsvermögen nicht. Mal abgesehen davon war das Rohr immer noch verstopft. Der Typ wollte sich bloss nicht die Hände schmutzig machen.
Er trabte also zum zweiten Mal an, ziemlich widerspenstig, da er für die Behebung desselben Problems nicht nochmals bezahlt werden würde. Bestandesaufnahme abends: Rohr entstopft, auf einen Blick ersichtlich, da dessen Inhalt jetzt meine Fliesen schmückte. Mein gelber Putzlappen diente neu als Verschluss der Öffnung. Sehr professionell. Na immerhin hatte er den nicht auch noch zubetoniert. Am nächsten Morgen tappte ich blind ins Bad (hatte ja kein Licht), mitten in eine Pfütze. !!!
Eine Woche später tauchte der Typ endlich wieder auf. Der Schlauberger hatte einfach nicht geantwortet, wenn unsere Nummer im Display erschien. Der weiss schon, weshalb. Ich hab nun meinen gelben Putzlappen wieder. Wunderbarerweise kann man auf dem Markt so ziemlich alle Schikanen, die diese Art „Abwassersystem“ erfordert, kriegen, wie zum Beispiel Gummikappen zur Abdichtung. Warum man erst zweimal improvisieren, sprich pfuschen muss, entgeht meiner Schweizer Logik. Mittlerweile sind zwar die Fugen zwischen den Fliesen bröcklig und spröde von der dauernden Nässe, und ich muss meinen Luftbefeuchter wieder einschalten, da das Bad nicht mehr diese Funktion übernimmt, aber dafür ist die erste herausfordernde Tätigkeit am frühen Morgen nicht mehr trockenen Fusses zum Klo zu gelangen, sondern die passende Unterhose zu wählen :-)
Vorsorgliches
Posted on 18 April 2007 at 03:12 in Alltag
Gerade hab ich die Bestätigung der Buchung meines Rückfluges ausgedruckt. Am 16. August werde ich wieder Schweizer Boden unter den Füssen haben. Natürlich freue ich mich – zuerst mal auf all die lieben Leute, die mich auch vermisst haben. Besonders lebhaft nimmt in meiner Vorfreude aber der imaginäre Menuplan Gestalt an. Wieder mal Gschwellti. Birchermüesli mit viiielen Früchten. Fleisch vom Grill. Die Liste ist lang, und ich sabbere bereits auf meine Tastatur…
Dann macht sich aber auch eine leise Panik breit. Was, schon fast vorbei? Ich wollte doch noch so vieles sehen, erleben. Womit hab ich eigentlich meine Zeit verplempert?! Stopp. Moment. In einem Land, wo man sich zuerst mal gründlich einleben muss, der Winter einen dann monatelang in die warme Stube zwingt und man 100% arbeitet, geht ein Jahr schnell rum. Wie zum Hohn bewältige ich ab nächster Woche auch noch ein Mordspensum: 36 Lektionen pro Woche. Und das freiwillig! Ich kann den Leuten doch nicht sagen, ootschlarä, kommt im August wieder (und beschwert euch in der Zwischenzeit beim Erziehungsminister über das monströs tiefe Niveau des Unterrichts an euren eigenen Schulen). Lange Zeit war ich unterbeschäftigt, da liegt ein wenig Krampfen schon auch drin. Wahrscheinlich eine gute Vorbereitung auf Schweizer Verhältnisse… Ich bin darauf eingegangen, weil es sich um Doppellektionen handelt (weniger Aufwand für die Vorbereitung als für zwei Einzellektionen) und ich einen der Kurse bereits zweimal unterrichtet habe. In der Schweiz hab ich es nie mit mehr als 25 Lektionen versucht. Hat mir völlig gereicht. Dort war ich aber auch Klassenlehrerin, musste im Team mit arbeiten, Sonderanlässe vorbereiten, Lager planen, Englisch und Mathe mit anderen Klassen koordinieren, Schüler beim Nachsitzen beschäftigen, mich über respektlose Gören aufregen, den Faulpelzen zum hundertsten Mal zur Stellensuche antreiben, mich um die ritzende Schülerin sorgen, und mir jeden Tag neu selbst sagen, dass ich eine gute Lehrerin bin. Die 36 Lektionen schaff ich also locker.
Katharina die Grosse
Posted on 12 April 2007 at 10:35 in Kultur
Schon am ersten Tag in diesem Land schaute mir eine wildfremde Frau im Supermarkt tief in die Augen und fragte, ob ich Russin sei. Seither hat sich einzig geändert, dass ich die Frage mittlerweile selbst verstehe. Kommt schon mal vor, dass ein Taxifahrer den Radiosender zu russischen Schnulzen wechselt wenn ich einsteige. Woran das liegt?
Erstens mal hab ich blau-grüne Augen. Die Iris der Mongolen ist höchstens stechend grün, meist aber dunkel. Ausschlaggebend ist jedoch, dass ich – ausser an faulen Samstagen – eine eher gepflegte Erscheinung bin. Viele Ausländer gehören zur Sparte „Abenteurer“, und die latschen eben in Turnschuhen und strapazierbarer, bewegungsfreudiger Outdoor-Kleidung herum. Meine Arbeitskollegin hat mir gestern beim Mittagessen etwas verschämt erzählt, dass die Fremden manchmal in Sandalen rumlaufen würden und schmutzige Füsse hätten! Igitt! Danke für die Warnung :-) Muss gleich mal wieder meine Schuhe putzen.
Wenn ich schon dauernd zu den Genossinnen gezählt werde, kann ich doch von Glück sprechen, dass die meisten Mongolen eine sehr positive Meinung von diesem Volk haben. Spricht man hingegen China an, prallt man auf eine Mauer von Rassismus. Ich versteh nicht so ganz wieso, schliesslich haben beide Grossmächte pausenlos versucht, sich die Mongolei einzuverleiben! Aber eben, nach 70 Jahren Unterdrückung jeglicher Eigeninitiative ist es schwierig, so plötzlich mit Demokratie und freier Marktwirtschaft klar zu kommen. Da sehnt sich so mancher nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“ zurück, die da heissen gesicherte Arbeitsstelle, erfolgreiches Bildungssystem und organisierte Krankenpflege. Zum Beispiel. Das alles krachte 1990 erst mal mit viel Getöse in sich zusammen. Zu allem Überfluss folgten einige Kältewinter und Dürresommer, so dass ein Ausweichen auf Hirtentum und Viehwirtschaft zum Scheitern verurteilt war. Deshalb weinen viele immer noch den Russen nach, was wir westlich geprägten Europäer schlecht nachvollziehen können. Konsalik hat sich ja zwar Mühe gegeben, uns Mütterchen Russland nahe zu bringen, aber der Amerikanische Einfluss war wohl doch stärker.
Ausländer bitte!
Posted on 12 April 2007 at 01:53 in Alltag
Jim verlässt uns Ende Monat, um die neuen Peace Corps Volunteers in Empfang zu nehmen und in ihren 2-jährigen Dienst einzuführen. Haben also ein Inserat aufgegeben und eine Lehrerin zum Gespräch eingeladen. Mir fällt hier auf, dass die Bewerbungsdossiers furchtbar langweilig und nichtssagend daher kommen - alle Sprachlehrerinnen haben „excellent“ Kenntnisse des Englischen… Dann hab ich mich geschämt für meine Chefin, die deutlich unvorbereitet und zu spät zum Gespräch erschien. Anders als die Kandidatin vom Herbst konnte diese sich auf Englisch verständigen, unterrichtet aber, wie hier üblich, zum grössten Teil in Mongolisch. Deswegen luden wir sie zu einer Probelektion mit meinen Anfängern ein.
Meine Augenbrauen gingen das erste Mal in die Höhe, als sie erklärte, eine Viertelstunde reiche ihr, um sich auf die Lektion vorzubereiten - sie kannte weder das Unterrichtsmaterial noch den Inhalt der Lektion. Die 7 Jahre Erfahrung und methodisch-pädagogischen Fähigkeiten, mit denen sie sich auf Papier gerühmt hatte, vermisste ich während der ganzen Lektion. Ich sass in meiner Ecke, bediente das Audiogerät (um sich mit dessen Umgang vertraut zu machen, fehlte natürlich die Zeit) und musste mich zusammenreissen, meinen Mund zu halten und nicht allzu unruhig auf dem Stuhl herumzurutschen. Sie gab sich wirklich Mühe, Englisch zu sprechen, aber mit steigender Unsicherheit rutschte sie immer öfter in die Muttersprache zurück. Meine Schüler, gewohnt, sich mit einfacher Wortwahl verständlich machen zu müssen, sprachen ebenfalls signifikant weniger Englisch. Ich hatte Mitleid mit Lehrerin und SchülerInnen und sehnte das Ende herbei. Heute hab ich dieselben zwei Buchseiten nochmals eingehender behandelt… Nicht ohne Grund erkundigen sich praktisch alle Interessierten nach Herkunft der Lehrer – Hauptsache Ausländer!
Ich weiss zwar noch nicht, wohin es mich nach meiner Rückkehr verschlägt, aber ich muss wohl noch ganz bewusst das angenehme Klima beim Unterrichten geniessen. „We like you!“ kam als Rückmeldung von der Klasse, als ich wissen wollte, wie sie die Probelektion erlebt hätten. Ausserdem haben sie mich letzte Woche zum Mittagessen eingeladen :-)
Kontrastprogramm
Posted on 10 April 2007 at 12:52 in Kultur
War wieder mal kulturell aktiv. Nach zwei typischen Touristen-Programmpunkten konnte ich auch noch etwas erleben, was den meisten Reisenden verborgen bleibt.
Samstag: Gandan Kloster. „Das Gandan-Kloster (…) ist für seine 26 Meter hohe Statue der Göttin Janraisig berühmt und das größte Kloster der Mongolei. (…) 1938 hatten sowjetische Truppen die Statue demontiert und eingeschmolzen. Die buddhistische Gemeinde ließ nach 1990 mit umgerechnet fünf Millionen Dollar Spenden eine neue vergoldete Janraisig errichten.“ (Quelle: Wikipedia) Fotografieren ist in den Gebäuden grundsätzlich nicht angebracht, aber für 10$ darf man die Göttin ablichten… Dieses Geld geb ich lieber anderweitig aus. Spannend war das Beobachten der Mönche und Gläubigen in der öffentlichen Zeremonie.
Sonntag: Spontan besuchte ich ein „Chumi“-Konzert. Kehlkopfgesang oder Obertongesang wird diese spezielle Gesangstechnik auch noch genannt. Dabei hört man zwei verschiedene Töne aus einer Stimme, einen normalen Grundton und eine Melodie im hohen Frequenzbereich. Nicht unbedingt schön, aber sehr faszinierend. Entstanden ist diese Technik, wie könnte es anders sein, bei den Nomaden. Hirten hatten viel Zeit, Vögel zu beobachten, und versuchten ihre Laute nachzuahmen.
Montag: Abends um 10 Uhr vor dem UB-Hotel. Wie abgemacht finde ich mich bei der Lenin-Statue ein und komme mir etwas verloren vor. Hier ist der Treffpunkt der Prostituierten. Ein Freund schenkt jeden Samstag und Montag heissen Tee aus, manchmal gibt’s noch Kuchen oder Kekse dazu. Er hat mich eingeladen, ihn zu begleiten. Hinter den hübschen Gesichtern würde ich niemals die tragischen Geschichten vermuten, die mein Freund mir erzählt hat. Höchstens die Augen verraten etwas vom Stress des Anschaffens: lauernd und abschätzend, dauernd auf der Hut. Manche der Mädchen sind gerade mal 18.
Feuergott und Weihrauch
Posted on 8 April 2007 at 11:29 in Kultur
Pünktlich zu Ostern wird in der Schweiz jeweils mit etlichen Zeitungsartikeln gegen das Vergessen angekämpft, weil die Feiertage immer mehr in Nikoläusen, Schoggihasen, Gschenkli und gefärbten Eiern ersaufen. Schliesse ich mich also an und thematisiere den Glauben der Mongolen.
Ursprünglich ist das Nomadenvolk naturverbunden und verehrt deshalb Naturgeister – den Gott des Himmels, der Flüsse, Berge etc. Damit verbunden wäre eigentlich eine grosse Ehrfurcht vor der Natur. So würde man niemals Abfall im Feuer verbrennen, denn dies wäre dem Feuergott ein Gräuel. Na ja. Davon ist heute nicht mehr allzu viel zu spüren, sonst wäre unser Nachbargebäude kaum vom WWF bewohnt. Etliche Tiere sind gefährdet, die Luft von Kohle und Abgas verpestet. Hat wohl damit zu tun, dass immer mehr Nomaden der Natur den Rücken kehren und an den Stadtrand ziehen.
Eine besondere Funktion nimmt der Schamane oder die Schamanin ein, die wohl ähnliche Aufgaben haben, wie wir sie von den Indianern kennen. Mit allerlei seltsamen Tänzen, Gesängen und selbstgebrauten Mitteln sind sie zum Beispiel zur Stelle, wenn jemand krank ist. Ihr Wissen geben sie an „Lehrlinge“ weiter.
Mit den Siegeszügen des Dschingis Khan im 14. Jahrhundert kam der Buddhismus ins Land. Erste Kloster wurden gebaut, eine Mischform zwischen Buddhismus und Naturglauben entstand.
Ab den 20er Jahren gaben die Sovjets den Ton an. Diese verneinen jedwelche höhere Macht und metzelten in den 30er Jahren sämtliche Klöster und Mönche nieder. Einzig in UB wurde eins übrig gelassen, um das Blutbad vor internationalem Besuch geheim halten zu können. Dessen Mönche waren allerdings von den Russen eingesetzt und überwacht…
Seit Beginn der Republik erlebt das Volk eine Rückbesinnung auf ehemalige Werte. Dschingis Khan darf wieder als Volksheld verehrt werden, Klöster werden aus den Ruinen aufgebaut, Bräuche wiederbelebt. Christliche Missionare nutzten den Rückzug der Russen, um die gute Nachricht hierher zu bringen. Die Kosaken - eine Minderheit im Westen des Landes – sind Muslime.
Am meisten verbreitet ist immer noch die mongolisch Variante des Buddhismus. So arbeite ich morgen ganz normal, und auch Freitag war Alltag. Macht nichts – dass Jesus lebt, auf dieser Überzeugung gründet sich mein Alltag so oder so. Das weiss ich auch ohne Palmwedel, Fisch und Osterpredigt. Am ehesten vermisse ich noch die mit Krokant gefüllten Schoggi-Eier :-)
Lärmverschmutzung – noise pollution
Posted on 4 April 2007 at 12:39 in Kultur
Ich unterrichte mit einem Lehrmittel der Oxford University Press. Die reinrassig britischen Bücher sorgen allenthalben für komische Momente, wenn mein Lehrerkollege Jim, ein Cowboy aus dem Wilden Westen, mit den Aussprache-Übungen kämpft: walk=„wook“, talk=“took“, horse=“hoos“, water=“woota“ und so weiter. Das Lehrmittel ist so angelegt, dass man international damit unterrichten kann. Trotzdem stosse ich mit manchen Themen an Grenzen. Da ist z.B. der Quiz über das 20. Jahrhundert. Meine Schüler mögen gerade mal so knapp wissen, wer „Hasta la vista, baby“ gesagt hat, eventuell noch der Fall der Mauer in Berlin, aber Greta Garbo? Fred Astaire? Ayrton Senna? Deutlich zu Europa-lastig. Im Gegensatz zu mir erkennen sie, ob jemand japanisch oder koreanisch spricht, aber italienisch und französisch kommt ihnen, na was wohl, spanisch vor.
So wurde auch letzte Woche ein kultureller Unterschied offenbar. Unter dem Titel „noise pollution“, also Lärmverschmutzung, gab’s da eine Liste der zehn meistgenannten Störenfriede im Buch:
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Lärmende Nachbarn
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Baustellen
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Läden und Nachtclubs mit lauter Musik
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Alarmanlagen, die nicht abgeschaltet werden
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Laute Feiern spät nachts
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Strassenarbeiten
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bellende Hunde
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Verkehr, hupende Fahrer
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Autos mit überdimensionalen Lautsprechern
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Fluglärm
Nach 7 Monaten in Ulaanbaatar kann ich da nur müde lächeln. Ich fand es schon früher, als ich noch nach europäischen Normen tickte, total doof, dass man sich wegen Kuh- und Kirchenglocken in die Haare kriegen kann. Nun geht es bereits über meinen Verstand, dass in Europa überhaupt ein Begriff „Lärmverschmutzung“ existiert. Redet man in UB von Verschmutzung, dann meint man die Luft oder die Flüsse, nicht den Lärm, obwohl man dazu bestimmt mehr Anlass fände als in der Schweiz oder in England.
Hier wird jeden Tag rund um die Uhr gebaut. Samstag und Sonntag und auch jede Nacht! Wehe dem, der neben einer der zahlreichen Baustellen wohnt. Die Hupe ist das am besten funktionierende Teil an jedem Auto. Die Alarmanlagen kreischen und heulen zwar durchdringend, aber so oft, dass niemand auch nur mit der Wimper zuckt, wenn wieder mal eine losgeht. Hunde sind als Haustiere beliebt - mindestens ebenso viele treiben sich wild draussen rum. Die Strassen sind sicher dreimal täglich total verstopft. Dann kommen noch die quietschenden Keilriemen dazu, und die schreienden Microbus-Fahrer, nicht zu vergessen die ALLZEIT und ÜBERALL klingelnden Mobiltelefone. Über meine Nachbarn gibt es meistens nicht viel zu sagen (ich wohne ja in einem Bürogebäude), aber es kam auch schon vor, dass abends um 11:30 noch fröhlich gebohrt, oder von Vodka inspiriert durchs ganze Treppenhaus gesungen wurde. Das einzige Getöse, das uns Europa voraus hat, ist Fluglärm.
Dass Lärm hier kaum ein Thema ist, mag daran liegen, dass die restlichen Quadratkilometer dieses riesigen Landes praktisch unbewohnt sind. Wer Ruhe will, flüchtet kurz in die Einöde. Auf dem Land kann man sich dann eben über Muhen und schnarchende Ehemänner aufregen, weil sie nicht mehr im restlichen Gedröhne untergehen.
I teach with books from Oxford University Press. The veeery British material is always good for a laugh when my colleague Jim, a cowboy from the wild west, wrestles with pronunciation practice exercises... The teaching material was designed to be used in all countries; however, I occasionally find that difficult. There’s this quiz about the 20th century – my students might know who said “Hasta la vista, baby”, probably also when the wall in Berlin came down, but Greta Garbo? Fred Astaire? Ayrton Senna? Definitely too heavy on foreign cultures. Other than me, they can distinguish Korean from Japanese when they hear it, but Italian and Spanish will remain undetected. Another one of those cultural differences revealed itself the past week. There was a list of the top ten trouble makers concerning “noise pollution”.
- noisy neighbours
- building sites
- shops or pubs playing loud music
- burglar or car alarms which aren’t switched off
- noisy parties late at night
- roadworks
- barking dogs
- heavy traffic and drivers hooting
- people who play their car radios at full volume with the windows open
- planes taking off or landing
After 7 months in Ulaanbaatar, all this list does is raise a smile. Even back when I was wired according to European standards I couldn’t understand people bashing their heads in because of cow- or church bells. Now it’s beyond my comprehension that the term “noise pollution” even exists in Europe. If people talk about pollution in UB, they mention the air, the rivers, but never the noise, even though there would be far more reason for that than in Switzerland or England.
Construction is going on 24/7 here. Saturdays, Sundays and every night, too! You better pray nobody’s going to build next to your flat. The hooter is the part which works best in every vehicle. Car alarms squeal and howl piercingly, but nobody even bats an eyelid when one goes off, as the sound has become so frequent and thus common. Dogs are popular pets – at least as many stroll around freely on the streets. The roads are jammed at least three times a day. Then there are squeaking v-belts, shouting microbus drivers, and last but not least, mobiles ringing EVERYWHERE and ANYTIME. Usually, I can’t complain about my neighbours, after all I live in an office building, but occasionally someone needs to drill at 11:30 p.m., or sings a vodka-inspired song through the staircase. The only bluster Europe can claim unchallenged is aircraft noise.
The reason that noise pollution is no issue here whatsoever might be that the remaining part of this gigantic country is nearly deserted. Whoever craves peace escapes to the countryside for a moment, where you can get all worked up over mooing cows and snoring husbands, as they aren’t any longer drowned out by other noise.
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Aus und vorbei!
Ich bin wieder zu Hause - die Mongolei und die dazu gehörenden Erlebnisse, die grösstenteils in diesem Blog festgehalten sind, gehören zur Kategorie "Erinnerungen".
Viel Spass beim Lesen!
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