Der neue Mitarbeiter
Es ging gegen fünfzehn Uhr, als ein kleines Männlein mit einem breiten Gesicht und langen Armen, an denen zwei riesige Hände hingen, in mein Büro trat und mich zackig begrüsste: „Guten Tag, ich bin der Neue. Ich heisse Berthold, Fritz Berthold”.
Ich dachte eben an Irma. Wir wollten heute einen schönen Abend miteinander verbringen. „Guten Tag”, antwortete ich. „Sie haben sich wohl in der Tür geirrt. Ich brauche keinen Neuen. Hauen sie ab und lassen sie mich in Ruhe”.
Der Kleine liess sich aber von meiner Gereiztheit nicht beeindrucken und sprach munter weiter. „Sie haben vielleicht davon gehört, dass ein Verbindungsmann zu Herrn Gressler gesucht wurde. Nun, der bin ich”.
Gressler war der Abteilungsleiter. Er war ein ehrgeiziger Klimmzügler und kämpfte um den Posten eines CEO im Konzern. Offenbar erfolgreich.
Das war es also, der Verbindungsmann. Ja, davon hat Gressler kürzlich gesprochen. Damals hatte ich schon ein mulmiges Gefühl, aber da Gressler in der Möglichkeitsform geredet hatte, vergaß ich die Sache wieder. Nun aber steht da einer, der behauptet, er sei dieser Mann. Und das ging doch offenbar gegen mich. Der Gnom da war mein Aufpasser…
„OK, aber gehen sie jetzt bitte, ich habe zu arbeiten”. Meine Stimmung war hin, der Abend verdorben. Ich werde Irma anläuten und mich entschuldigen. Ich griff in die unterste Schublade und nahm einen tüchtigen Schluck aus der Cognacflasche. Mit einer Zigarette in der Hand ging ich zum Fenster und blickte in den herrlichen Tag hinaus. „Dieser Verbindungsmann hätten sie sein können, Herr Bauer”. Frau Kühn, die Sekretärin, trat neben mich ans Fenster. "Wenn sie nicht so viel trinken und die da oben nicht mit Arschficker bezeichnen würden, wären Sie jetzt dieser Mann. Schade, aber sie müssen ja wissen, was sie tun.
Berthold kam nach etwa zwei Wochen, während denen er sein Büro nicht verließ, zu mir. Er wollte sich über meine Arbeitsweise informieren, meine Dossiers ansehen und wollte wissen, was ich gerade jetzt bearbeite. Er sah sich alles an und stellte sich dann mit einem geöffneten Aktenordner in den Händen vor mein Pult. Ich ahnte es, er war über meine Ordnung schockiert. Nun, ich gebe zu, dass ich damit nicht glänzen konnte. Als ein kreativer Mensch war mir Drill jeder Art ein Gräuel; für ihn war Ordnung der Sinn des Lebens. Ordnung, sagte er, hänge zusammen mit dem Image, und damit sei es bei mir auch nicht zum Besten bestellt. „Von den Weibergeschichten und Sauforgien mal abgesehen üben sie noch einen zweiten Beruf aus und dann noch einen intellektuellen, was ja ohnehin schon sehr verdächtig ist” sagte der Wicht. Kurz, so könne es nicht mehr weiter gehen und er habe mit Herrn Gressler gesprochen und ihm den Vorschlag gemacht, mein Gehalt zu kürzen.
Das war nun zuviel und in mir entstand ein neues Gefühl. Mit einer unerklärlichen bissigen Lust nahm ich diesen Schlag entgegen, aber zugleich entstand ein Hass gegen diesen Zwerg, diesen miesen Spießer, der so gar nichts verstand, bei dem doch die Hände größer waren als sein Gehirn. Gut, die Gehaltskürzung befreite mich vom Stress, ich konnte ein Glied hinter die erste Linie treten. Das machte mir nichts aus, aber dass dieses Erdmännlein mich angriff, konnte ich nicht verkraften.
Und so entstand in mir aus der anfänglichen Abneigung gegen Berthold ein Sturm von Hass. Bald merkte ich, dass ich mich nicht mehr im Griff hatte. Ich konnte nicht mehr klar denken. Meine Gedanken verselbständigten sich und drehten sich immer um Berthold. Sie wühlten und wimmelten in meinem Gehirn, sie nagten und bissen wie Mäuse, die sich vermehrten und mir den Kopf zu zersprengen drohten. Wie kann ich diesen B. vernichten, ihn in den tiefsten Dreck stoßen, ihn krank machen? Ich kreiste unablässig um den Gedanken, diesen Schädling vernichten zu müssen. B. wurde immer hässlicher, und sein zynischer, nach links oben gezogener Mundwinkel reizte mich zum Dreinschlagen. Was sollte ich nur tun. Ich quälte mich und kam aus dem Teufelskreis nicht mehr heraus.
Dann geschah es, dass ich das Bürohaus nicht mehr betreten konnte. Ich brachte es nicht mehr hin, meinen Fuss über die Schwelle der Eingangstüre zu heben. Auch nicht beim unteren Eingang. Ich war blockiert und musste mir in der Bar gegenüber einen Cognac genehmigen. Das verstehende Lächeln von Herbi, dem Barkeeper, übersah ich. Dann erst konnte ich das verhasste Gebäude betreten. Es wurde immer schlimmer. Ich arbeitete nicht mehr.
Eines Tages verreiste ich mit unbekanntem Ziel. Mit Irma verbrachte ich eine schöne Woche in einem wunderbaren Ferienort mit Sauna und Bergbahnen.
Ich kam entspannt zurück; ich war gereinigt an Seele und Geist und erhaben über die Banalitäten des Tales.
Mein erster Besuch zur Begrüßung galt Herbi, dem Barkeeper. Bereitwillig brachte er mir eine Anzahl Cognacs, die ich langsam in mich hineingoss. Jetzt werde ich es ihm aber zeigen, dachte ich nach jedem Cognac etwas mutiger. Dann kurvte ich über die Strasse, trat problemlos über die Schwelle, stieg über die breit ausladende Bogentreppe hinauf in den Flur der Abteilungsbüros, ging zur Tür mit der Aufschrift „F. Berthold”. Gewesen, dachte ich grimmig, riss die Tür auf und schoss. Der Schuss hallte laut durch das Gebäude und hinaus auf die Strasse, die Stadt und weithin über das Land. Es ist nun alles gut, dachte ich.
Ich erschrak, jemand legte seine Hand auf meine Schulter und sagte: „Wachen sie auf, Herr Bauer. Haben sie wieder zuviel getrunken?”. Es war Frau Kühn, immer rührend um mich besorgt. Was für Zeit, Frau Kühn? Es geht gegen fünfzehn Uhr, Herr Bauer. Ich war erleichtert.
Kaum hatte ich angefangen, meine wirren Gedanken zu ordnen, ging die Tür auf und herein trat Fritz Berthold. Ich griff in die obere Schublade. Er fiel mit einer halben Drehung flach auf den Rücken. Der tiefrote Fleck auf der Stirn stand in unnatürlichem Kontrast zum fahlen Weiss des Gesichtes.
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